Dienstag, 5. August 2008

Pandoram Stream Pt. 3

3.
Sein jäher Lauf kam zu einem raschen Ende, als ihn auf unergründliche Art und Weise jene Mutlosigkeit überkam die er beim Anblick
des brennenden Baumes empfunden hatte. Er hatte die Mauer der Dunkelheit durchdrungen, stieß und trieb und keuchte in ihrem
unsichtbaren Netz wie ein gefangenes Insekt, das die Augen fest geschlossen hielt, im Angesicht dessen, verzehrt zu werden. Noch
spürte er die geruchlosen, dimensionsspezifischen Schwaden dieser Nacht nicht, wie sie transpirierend in seiner Haut verschwanden,
die Feuchtigkeit, den Mut, den von Wut und Hass angefeuerten Atavismus zu ersticken drohten. Noch fühlte er sich nicht
dem Verzehr ausgeliefert, aber je vollkommener die Dunkelheit wurde und je mehr die Regungen der Nacht abnahmen, seine Sinne nun
in eine dumpfe, kalte Isolation getrieben wurden, desto mehr litt die Entschlossenheit, sich dem Sinnbild einer ewigen Dunkelheit sowie ihrem
realen Korrelat zu stellen unter einer nackten, von Beiwerken losgelösten Angst. Er spürte es. Wie sie ihn vollständig erfasste und seine
Sinne verklebte. Alsbald blieb da keine Kraft mehr zur Erinnerung, ab und zu schoss das Bild des brennenden Baumes durch seinen Kopf,
er blieb stehen, brüllte in die Nacht wie ein von Feinden umzingeltes Tier. Er brüllte und fauchte, fürchtete die Strafe der Wüste nicht,
sie konnte ihm nichts anhaben, keine Art oder phantasievolle, aphoristische Version von Schmerz zufügen, die er mehr fürchtete, als an diesem Ort bleiben zu müssen.
Er war gerannt. Hatte das einzige Licht zurückgelassen, aber er würde diesen Ort bezwingen, und wenn er schon nicht sterben würde,
er würde sich der vollkommenen Nacht nun hingeben, seine Sinne, seine Gedanken, sein ganzes Sein einer verzehrenden Apathie überlassen,
bis er dem Tode nahe genug gerückt war, um jegliches Bewußtsein für Leben wie ein fauliges, unnötiges Anhängsel von sich abtrennen zu können.
Er würde zu einem bewußtseinslosen, reglosen Sack Fleisch werden, das in die Leere starrt, bis die Tristesse der Nacht seine Seele
in einen konturlosen, wabbernden Teppich verwandelt hatte, in den dann die Geister dieser Wüste nach Freuden Funkeldiamanten und Sterne
einnähen dürften wie in ein schlaffes, knittriges Korsett. Er würde die Wüste überlisten, er würde in ihr sterben auf die eine oder andere Art und
Weise, aber weigerte sich inständig, zu einem machtlosen Opfer einer empfundenen, durchlebten Ewigkeit zu werden.
"David, geh zurück."
Er schrie wie von Sinnen, zutiefst erschrocken. Der Träger dieser Stimme durfte keine vier Meter von ihm entfernt stehen, und er erkannte sie
sofort. Es war das rauhe, traurige Timbre des alten Mannes.
David zog seine Waffe und fuchtelte wild mit ihr in der Dunkelheit.
"Wo bist du?! Wo bist du, du verdammter Mistkerl, ich bring dich um, ich schwöre bei Gott ich werde dich töten!" David tätigte den Abzug
mehrmals, jedoch ertönte kein Schuss. An der Stelle des Knalles jedoch hielt plötzlich etwas ganz anderes Einzug, und der tosende,
vor Wut schäumende David rang plötzlich nach Atem. Er hatte sich geirrt. Das Räderwerk dieser Wüste wusste Stellen zu treffen, derer
Schwäche und Empfindlichkeit er sich nicht einmal selber bewusst war.
Das quängelige, leise Schluchzen eines Säuglings, und David war sich sicher, dass es das gleiche Kind war, das in den Armen
der Frau Zeuge seines ersten Ablebens sein durfte.

Natürlich tat es mir leid. Aber Connie war zu weit gegangen, ich glaube sie hat genau gewusst, wie ich reagieren würde, und hat es in Kauf
genommen. Als wolle sie mir damit beweisen, was für ein kalter Hund ich war. Aber sie sollte es besser wissen, mich besser kennen. Ich
zische die letzte Dose Heineken, setze mich auf den alten Ledersessel und sehe sie an. Wie sie da liegt. Blut hustet. Ich war zwar keiner
dieser schwanzlosen Wichser, die sich daran aufgeilen, sich an Frauen zu vergehen, aber ich lass mich nicht anpissen, auch nicht von dir,
Connie, mein Schatz sage ich ihr, und sie steht auf, hält sich die eingebrochene Wange und spuckt mir vor die Füsse. Was für ein
trauriger, schwanzloser Mann ich doch sei, sagt sie mir, und ich sage Connie, Schatz, sage ich ihr, pflanz deinen süßen Birnenhintern sofort
wieder hin oder du hast eine weitere kleben. Ich könne sie mal, ich sei genau wie er, und sie würde mit dem Kleinen weggehen, brüllt sie aufeinmal,
und ich stehe auf. Vielleicht liegt es meinem strapazierten Nervenkostüm, seit der unrühmlichen, häßlichen Geschichte mit Kristof, zu der
ich mich gezwungen sah. Jedenfalls stehe ich auf, hole aus und treffe. Connie liegt, und der Kleine fängt an zu weinen und scheiße,
zwar regt sich nicht viel in mir, aber das ist zu traurig, zu beschissen trostlos, die ganze Szenerie. Ich habe keine Lust darauf,
die beiden zu quälen, und sie bedeuten mir nicht genug, als dass
ich sie trotz aller Konflikte an mich binden muss. Ich lege das Heineken beiseite, greife in meinen Rucksack und schmeiße ihr drei Bündel
von der Kohle hin. Der Kleine schreit unentwegt, Connie schluchzt, ich schweige und gehe zur Tür, den Rucksack, den Revolver und
meine letzten paar Sachen bei mir, ein Taschenmesser, ein Rechnungsbuch. Dieser Ort will mich nicht mehr, und ich will ihn auch nicht mehr, weder an ihm teilhaben, noch in ihm wohnen.
Ich stehe in der Tür, Connie wirft mir einen schwer zu deutenden Blick zu. Wahrscheinlich hat sie recht, ich bin ein schwanzloser, trauriger
Mann, aber ich kann besseres gebrauchen als eine österreichische, wehleidige Schlampe und einen nutzlosen Quälgeist, die den ganzen Tag
nichts besseres zu tun haben als mir das stetig und immer wieder vorzuhalten.
"Fahr zur Hölle, David.", sagt Connie und ich lächle. Die Kohle wirste trotzdem behalten, du kleine Schlampe, sage ich mir, und just in
diesem Moment war ich zur Tür raus und warf den Wagen an.

Er hatte den alten Mann gefunden. Keine paar Meter stand er rechts von ihm, irgendwie hatte er beim Fuchteln und Schlagen in der Dunkelheit
das Jackett des alten Mannes zu greifen bekommen, und nun zog er ihn an sich und drückte ihm die Waffe an den Kopf.
"Du dreckiger Mistkerl...du hast mich betrogen, mich allein gelassen, ich musste deinen Platz einnehmen!"
"So? Tatsächlich? Aber ich bin doch noch hier, David...", die Stimme des Mannes klang, als würde er lächeln.
"Warum zur Hölle bin ich hier?! Wer zur Hölle bist du?!"
"Lass mich los, David. Bitte. Um deiner selbst willen, lass mich los."
"Fahr zur Hölle!", brüllte der Zurückgelassene und drückte ab, doch die Waffe ging nicht los.
"Hör auf die Wüste nach einem Ende abzusuchen, hör auf dich so zu quälen, mein Junge. Kehre zum Feuer zurück, und fang an am
richtigen Ort zu suchen."
Der Zurückgelassene hielt sogleich inne. David; dachte er, und hatte das plötzliche Gefühl, dass sich der dichte Nebel in seinem Kopf ein wenig
löste. Es gab keinen Zweifel daran, er begann sich zu erinnern. Sein Name war David. Er wusste nach wie vor nicht, wie er in die Wüste gekommen
war, was das für ein Ort war, er weigerte sich, irgendwas zu glauben oder zu schlußfolgern, zu stark hatten ihm seine letzten Irrtümer zugesetzt.
"Wie ein gehetztes, gepeinigtes Tier, nicht wahr, alter Mann?", schluchzte David. Er ließ den alten Mann los.
"Hier."
Er schien ihm etwas hinzuhalten.
"Nimm ihn."
Ein Quängeln ertönte erneut. David steckte die Waffe ein, und obwohl sich alles in ihm sträubte, nahm er den Säugling an sich. Er war zu schwach,
zu müde, um zu widersprechen.
"Mit geballten Fäusten, David. Immerzu, mit bitteren Schlägen gegen die Fassade, die Fratzen brechen ein." Er war sich zutiefst sicher, dass ihn
der alte Mann besser sehen konnte als er ihn. Sehen und Hören schien für ihn keine Rolle zu spielen, er sprach die Dinge aus, die schon seit jeher
im Raum hingen, die David's Leben zutiefst geprägt hatten, Worte, die bereits wirkten, ehe sie ausgesprochen wurden, und David konnte sich
nach wie vor nicht entscheiden, ob er ihn als Sprachrohr einer bestimmten Macht oder Wahrheit oder als eigenständiges Wesen betrachten sollte.
"Und manchmal erwischt es die eine oder andere Fratze zuviel."
"Bin ich in der Hölle?"
"Wenn du es so nennen willst..." Der Mann klang, als würde er einen schelmischen Witz machen. Und David musste plötzlich lachen. Aber aus
anderen Gründen, es schien, als würde die durchtriebene, perfide Hyäne in ihm hochkommen, derer er sich schon bewusst war, ehe er sich an
seinen Namen erinnern konnte. Deswegen waren ihm diese Worte so in Erinnerung geblieben, er war es, von Anfang an, er war das gehetzte und
gepeinigte Tier.
"Fahr zur Hölle, alter Mann.", flüsterte David und hielt ihm denn plötzlich stillen Säugling hin.
"Dieses Gericht, dieses ganze Abstrafen meiner Sünden. Vor meinen Augen fügen sich die Sünden zusammen, die ich begang, den Schmerz,
den ich anderen zufügte...soll mir das leid tun?"
Der alte Mann schwieg.
"Ich fühle mich schuldig, ich fühle diese Reue, diese Scham, alter Mann. Wieviel soll ich noch leiden? Wieviel soll ich noch auf mich nehmen,
ehe dieser Ort ruhe gibt und mich gehen lässt? Was willst du? Was will dieser Ort? Was kann ich noch geben, als all meinen Schmerz, all
meine Last, mein Leid, ich zeige Reue, ich wehre mich, aber ich zeige Reue, ich will doch nur frei sein, oder zumindest in den Tod entlassen
werden."
"Du bist nicht du selbst, David. Hast du immer noch nichts begriffen?"
David schwieg.
"Weißt du immer noch nicht, warum du hier bist? Glaubst du wirklich, dass all diese Worte, die ich an dich richtete, der gehetzte Köter,
die geballten Fäuste, David, glaubst du wirklich, dass das meine Worte sind?"
Er lachte.
Etwas seltsames schwang in diesem Lachen mit.
"Es ist so einfach, David.
Wach auf."
"Es ist die Hölle, nicht wahr? Ich bin schlichtweg tot. Ich bin gefangen in meinem eigenen Sündenpfuhl."
Stille.
"Dieser Ort ist mir als Strafe für die Ewigkeit gegeben worden. In ihm werde ich die Ewigkeit absitzen, für alles was ich getan habe."
Der alte Mann nahm den Säugling an sich.
"Ich akzeptiere. Ich kehre zurück. Ich nehme deinen Platz ein."
David wartete ab, doch die Dunkelheit erwiderte ihm nichts. Der alte Mann war wortlos verschwunden, und das ausgerechnet, als
er sein finales Resümee gezogen hatte. Lag er falsch? Was spielte es für eine Rolle....in ihm erschlaffte alles, jedes Aufbegehren. Dieses
träumerische, unwirkliche Gefühl, das ihn beschlichen hatte seit er in der Wüste aufgewacht war, dieses dumpfe, neblige Gefühl der Irrealität
beendete die Transpiration und fiel über sein Bewußtsein, sein Weltverständnis her wie eine Schlammlawine und erstickte alles vorher dagewesene.
Er akzeptierte.
Wortlos machte er kehrt und machte sich auf den Weg zurück zum Feuer.


Schuld

1.
Er war zur Staffete geworden. Seine Persönlichkeit, oder das, was nach der Amnesie davon noch übrig war, hatte er endgültig aufgegeben. Seine
Vergangenheit, die letzten Versuche, Ordnung in das Chaos seiner Erinnerungen zu bringen, lagen lange zurück. Sein Zeitempfinden war
eingebrochen, der Blick im Feuer konnte erst seit Minuten oder Monaten stattfinden, vielleicht war er einen Tag in der Wüste, vielleicht ein
Jahr. Das spielte alles keine Rolle mehr für ihn, er, der sich David nannte, oder viel mehr David genannt wurde, hatte seinen Platz am Feuer
eingenommen. In ihm regte sich nichts, seine geistliche Landschaft glich einer Steindüne, über deren karge Oberfläche ab und zu ein bedächtiger,
kurzlebiger Hauch der Erinnerung bließ. Einzig seine suggestive Freude an den wärmenden Flammen, an ihrem unberechenbaren, rätselhaftem
Tanz und dem schwachen, gleichmäßigem Pulsieren der Glut hielten am Leben, und es war ein archaisches, roheres Gefühl als simple Freude.
Es war die dumpfe, selbstvergessene Zufriedenheit. Das gefühlslose, erkaltete Ruhen im Selbst, ein Zustand der Apathie, der bewußtseinslosen, entleerten
Ruhe.
So verging die empfundene Ewigkeit.

In diesem Zustand, vor dem Feuer kauernd, bekam er Besuch.
Der junge Mann trat ganz vorsichtig an David heran, sein Anblick musste zutiefst verstörend wirken. David registrierte seinen Besucher, aber würdigte
ihn keines Blickes, obwohl sehr wohl wusste, was sein Erscheinen bedeutete.
Seine Stunde war gekommen.
Er sah auf, erblickte einen dunkelhaarigen, mit beschmierter Latzhose und rußigen Arbeiterhänden Jungen südländischer Abstammung. Vielleicht
ein Mexikaner. Vielleicht aber auch Spanier. Er sah dem ängstlich dreinblickenden Jungen in die Augen, atmete tief ein.
"Setz dich." flüsterte David.
Der Junge hatte jene unergründliche Tiefe in David's Augen wahrgenommen und fühlte sich von ihr bedrohter als vom Revolver, den der alte Mann
vor seinen Augen im Schoss hatte. Er zauderte nicht lange, gehorchte und setzte sich.
David öffnete die Trommel der Waffe, entleerte sie bis auf eine einzige Kugel und sah traurig auf. Er sah den Jungen an, versuchte hinter dieses
Gesicht eine Geschiche zu erahnen, sich vorzustellen, was dieses Gesicht, diese Hände geformt, diesen Jungen zu dem gemacht hatten, was
er war. Sein Sinn für den Menschen, für seine verschlingende Weltlichkeit und seiner Allgegenwart jenseits dieses Ortes kam schleichend und
langsam zurück, aber es war zwecklos. Er würde die Geschichte dieses Jungen nie erfahren.
Er musste das tun, diese Gelegenheit stand ihm zu. Der Kreis schloss sich, er würde als Glied der Kette abgelöst werden.
"Du musst wissen, es ist das einzige was ich tun kann."
Der Junge sah ihn verständnislos an. Dann blitzte etwas in seinem Gesicht auf, seine Züge erweichten, David hatte nicht damit gerechnet,
es war schlichte Besorgnis.
Der Junge schien den Revolver gar nicht wahrzunehmen. Nicht den drohenden Gestus des Öffnen der Trommel. Er sah David lange und tief in die
Augen.
"Sir, geht es Ihnen gut?"
Ein schmerzliches Lächeln huschte über David's Gesicht. Diese Frage brachte ihn seltsamerweise zum Stocken. Vielleicht war es die
unmittelbare Menschlichkeit, die Simplizität und einfache Intension, die dieser Frage innewohnte, die sogar nicht zu dieser Welt, dieser Wüste
und David's Vorstellung von ihr passen wollte. Aber er ließ sich nicht beirren, reichte dem jungen Mann die Waffe, nachdem er die
Trommel gedreht und in den Lauf zurückgesteckt hatte.
"Halt Sie dir an den Kopf.", flüsterte David, und der junge Mann sah ihn an, als hätte er völlig den Verstand verloren.
Vielleicht war es die Müdigkeit, die gebrochene Aura dieses Mannes, aber das Reichen des Revolvers wollte ihm nicht ins Bild einer
drohenden, fordernden Geste passen. Es war vielmehr eine unangebrachtes, verirrtes Angebot, dessen Gründe der junge Mann
erst gar nicht verstehen wollte.
Er nahm den Revolver.
Und legte ihn neben sich.
"Sir, ich frage Sie noch einmal. Geht es ihnen gut? Herr Gott, was machen Sie denn hier? Wie sind Sie hergekommen? Sie sehen vollkommen
erledigt aus, man, warten Sie einen Augenblick." Er öffnete den Reißverschluss am Bauch seiner Latzhose und holte einen Lederbeutel heraus.
"Trinken Sie, man."
David's Gesicht zuckte. Er verstand nicht so recht. Die Worte erreichten ihn nicht, schienen gar nicht ausgesprochen zu werden. Der Mund
des jungen Mannes bewegte sich und schien in einer fremden, ihm unnachvollziehbaren Sprache zu reden.
"Der Revolver...nimm ihn..."
"Alles klar, man, aber erst nehmen Sie nen Schluck."
David starrte auf den Lederbeutel. Er konnte sich nicht wehren, seine Hand schoss plötzlich hervor und griff nach dem Lederbeutel. Hastig
öffnete er den Verschluss und trank, ohne recht zu wissen, was er da tat.
"Sir, fünfundzwanzig Meilen von hier hab ich nen roten alten Pick Up gefunden. Gehört der Ihnen?"
David verschluckte sich, hustete und blickte auf.
Auf den jungen Mann wirkte er in diesem Moment wie ein frisch kastriertes, vollkommen verzweifeltes, die Welt nicht mehr verstehendes
Untier, und in David selbst rief das Wasser, das seine Kehle runterrannte ein ihm vollkommen fremdes, vergessenes Gefühl der Sättigkeit
und Wärme hervor. Sein Körper füllte sich mit Gefühl, mit Leben, David starrte fassungslos an sich herunter. Sein Herz fing an zu rasen,
er fing an zu wimmern. Er hatte das Gefühl, zum ersten Mal seinen Körper zu spüren. Er wusste nicht, ob er dieses Körperempfinden
jemals besessen hatte, wenn, dann musste es unendlich lange her sein, in einer Zeit und in einer Welt, an die er sich nicht mehr erinnern
konnte. Er sah um sich. Die Dunkelheit der Wüste war einem rosanen Dämmerungsgürtel gewichen, der ihn und den jungen
Mann zu umgarnen schien. Plötzlich roch er das Feuerholz erneut, ein Geruch, an dem sich seine Geruchnerven schon so stark
gewöhnt hatten dass sie ihn nicht mehr registrierten. Aber schlagartig erfasste er David in großer Fülle und Intensität. Sein Körper
begann zu beben.
"Sir?"
David hustete und beugte sich vor. Versuchte aufzustehen, und der junge Mann tat es ihm gleich und versuchte ihn stützen. Aber
David riss sich los, stolperte ein paar Meter, ohne seinen fassungslosen Blick von der Feuerstelle zu nehmen.
"Ganz ruhig Sir, es ist alles in Ordnung."
David sah auf, sah an dem Jungen vorbei...hatte jemand was gesagt? Er hustete erneut, diesmal so stark, dass er sich kaum noch
auf den Beinen halten konnte.
Dann explodierte in seinem Magen eine unerträgliche Hitze, und er fiel vorn über hin. Der junge Mann hatte schnell
genug reagiert und fing David's freien Fall auf. In seinen Armen lag er dann, hatte vollkommen das Bewußtsein verloren, die Augen
weitaufgerissen und der Mund war wie zu einem lautlosen Schrei grotesk aufgerissen. Der junge Mann stützte ihn und ließ ihn
zunächt sachte auf den Wüstensand herab. Sein Blick wanderte hastig in der Ferne, als er plötzlich den silbernen Revolver
erblickte.
Er lag da, um ihn herum die Kugeln, die der alte Mann der Waffe entnommen hatte, und dem jungen Mann schien es seltsamerweise,
als hätte dieser Revolver schon immer dort gelegen. Die Flammen hatten nachgelassen und züngelten nicht mehr ganz so stark
wie seit seiner Ankunft an der Feuerstelle, die Glut hatte nachgelassen, vielleicht lag es an dem leichten Regen, der schon
eine ganze Weile unbemerkt fiel.

2.
Ich packe den Kassierer und ziehe ihn unsanft über die Theke. Die Leute sind fassungslos, manche schreien, die meisten
liegen auf dem Boden und wimmern irgend ein unverständliches Zeug, so der Sorte "Herr im Himmel bitte blabla", aber
ich seh's nicht kommen, dass der liebe Herr demnächst durch diese Tür kommt und mir höchstpersönlich die Waffe aus
der Hand nimmt. Also was das angeht, stehen die Leute hier auf verlorenem Pfosten.
Klar haben diese verfickten Donut-Waffle-Houses nicht viel in der Kasse, aber es sollte reichen, um über die Grenze zu
kommen. Peng Peng, ein paar Schüße in die Luft. Ein wenig Geschepper entmutigt die Menschen in solchen Situationen
immer zutiefst, wenn man das oft genug gemacht hat, weiß man, welche Sorte Menschen wie auf so ne Geschichte
reagieren und wer sich hier und da zum Held der Unterdrückten aufschwingen will. Meistens sind das Excops, reaktionäre
Rednecks oder Staubsaugervertreter, deren bis dahin fast unbemerkte agnostische Romantik aufkocht und ihnen
erzählt, jetzt sei ihre Stunde gekommen. Hab schon einige dieser Spinner umlegen müssen, insofern behielten die meisten
recht, ihre Stunde war gekommen.
Ich lass mir den Schlüssel geben und öffne die Kasse. Der gefährlichste Moment, weil man sich auf das Geld und das Öffnen
der Kasse konzentrieren muss. Aber es geht gut. Gerne mache ich das nicht. Ich schalte auf Autopilot, das ist am sichersten.
Sonst überkommen mich noch Zweifel, und das kann ich beileibe nicht gebrauchen.
Ich drehe mich um, und will den Laden mit einem höflichen Hofknicks verlassen, als sich mir diese alte Mann plötzlich in
den Weg stellt.
"Tu das nicht, Junge.", sagt er.
"Wie bitte?", sage ich.
"Leg die Waffe weg, Junge. Du stürzt dich damit ins Verderben, dich und deine Seele und alle, die dich lieben."
"Wie bitte?", sage ich erneut. Keine Ahnung warum. Die Sicherung brennt durch. Wie so oft. Ich hebe die Waffe
und drücke ab. Einen Schuss in den Kopf, zwei in den Bauch beim Vorbeigehen. Der alte Mann ist sofort tot, und auf einmal
fangen die an zu weinen. Zu wimmern wie die Hunde. Ich steige in den Wagen und fahre los. Niemand versucht mich aufzuhalten.

Ich war schon fast zehn Meilen an der Wüste entlang gefahren, als es plötzlich anfängt.
Das Gesicht des alten Mannes will mir nicht aus dem Kopf.
Ich habe in meiner soliden Laufbahn einige Leute über den Haufen geschossen, ich weiß nicht, warum mir der alte Mann
nicht aus dem Kopf will. Ich versuche ihn zu verscheuchen, sein markantes, scharf geschnittenes Gesicht, die vielen
Falten, die jugendliche, vom Alter seltsam verschonte Nase. Aber es will mir nicht gelingen. Das geht so weit,
dass ich anhalten muss.
Ich steige aus dem Wagen, Kotze kommt mir hoch, ich übergebe mich und habe Mühe, auf den Beinen zu stehen.
Auf einmal schießen mir diese Tränen in die Augen, und ich kann nichts tun. Rein gar nichts. Gott im Himmel,
was ist hier los? ( Ich denke nicht, dass der werte Herr jetzt die Interstate entlang galoppiert kommt auf nem goldenen Ross
und mir höchstpersönlich die Tränen sanft von den Wangen wischt, was das angeht stehe ich also auf verlorenem Pfosten. )
Und es will nicht aufhören. Es geht sogar so weit, dass sich mein Magen verkrampft, ich liege gebückt und zusammengekauert
auf der Straße neben Wagen, Beute und Revolver. Und ich weine, ich kann nicht anders, ich weine und weine und es hört
verdammt nochmal nicht auf.
Dieses Gesicht des alten Mannes. Seine väterliche Scheißfresse. Auf einmal sehe ich sie alle, die paar Frauen und die
unzähligen Männer, die meinen unbändigen Wut zum Opfer gefallen sind. Ich habe nicht den leisesten Hauch einer Ahnung,
warum das just gerade einbricht, warum es mich so stark erwischt. Warum mich ihre Gesichter berühren. Der Autopilot
war zwar inzwischen ausgeschaltet, aber ich hatte noch nie damit kämpfen müssen, ich hatte mich nicht mal um diese Kälte bemühen
müssen, sie war mir gegeben, ich hatte nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, was ich anrichte...
Tag ein Tag aus....
Wie ein gehetztes Tier, gepeinigt, getrieben, und geschlagen.
All diese Fratzen, diese feindlichen Fratzen, meine Opfer, diese Fassade, auf die ich Tag ein, Tag aus einschlug,
mit diesen blutigen, geballten Fäusten...und ich weiß nicht mal mehr, warum ich diesen alten Mann umgebracht habe,
es gibt nicht den leisesten Grund dafür, dass ich sein Leben ausgelöscht habe...aber es muss einen Grund dafür geben,
warum mir das plötzlich so unerträglich erscheint....
Der Mensch...einer wie...ich...ein Mensch....WIE ICH.....
Er wird schwach, müde, er wird traurig. Aber er besteht auf sein Recht zu leben. Er besteht darauf und jeder von uns besteht auf sein Hoheitsrecht,
vor seinem eigenen geistlichen Auge gelten zu dürfen, etwas bedeuten zu dürfen. Und dann verschmilzt die Welt vor seinen Augen zu einer feindseligen Masse neidischer,
unnachgiebiger und ungönnerhaften Fratzen, und wir ballen unsere Fäuste, schlagen in diese Fassade ein, getrieben und erregt vom Geruch unseres eigenen Blutes. Wir schließen die
Augen und prügeln wie von Sinnen auf diese Fassade ein, bis wir müde werden, oder bis diese eine, unsere Faust einmal zu oft die falschen Fratzen zerberstet.
Dann suchen wir uns einen ruhigen, dunklen Ort zum Sterben, tätigen vielleicht einen letzten Anruf. Dann warten wir. Und sterben, unerlöst und benebelt....
Ich stehe auf und taumle auf die Prärie zu, bereit zu laufen, bis ich umkippe. Alles erscheint mir plötzlich unerträglich, und ich weiß, dass ich eine rückgangslose Last
gerade in mein Herz gelassen habe, die mich nie wieder verlassen wird. Nie und nimmer. Ich laufe, stolpere, halte mir den Bauch, ich weine, ich laufe, und ich
werde nicht aufhören, bis es so weit ist und meine Stunde gekommen ist, immer weiter in den Rachen dieser gegenstandslosen, ewigen Prärie.
Was Vergebung und diesen ganzen Mist angeht,
stehe ich hier auf verlorenem Pfosten....

....GOTT WAS HABE ICH NUR GETAN......


Ablass

1.
Als er erwachte, saß er auf dem Rücksitz einer alten scheppernden Karre, und der Junge fuhr.
"Ah. Sie sind wach. Mister, ich konnte leider nix mehr für Ihren Wagen machen, da ging nix mehr, Motor im Eimer. Und Sie auch, man, Sie sind ziemlich mitgenommen.
Was zur Hölle haben Sie da draußen gemacht? Ohne Wasser, ohne Nahrung?"
David schwieg.
Ein leichtes Unbehagen schien den Jungen zu erfassen. Er packte das Lenkrad fester und blickte verstohlen mehrmals in den Rückspiegel.
"Ihren Revolver habe ich in der Wüste gelassen, Sir."
David reagierte nicht. Der Wagen hatte keine Fenster mehr, so stürmte der Wind das Innere des Wagens laut und bebend, der Motor ratterte, die Straße war unbefestigt, der
Wagen sprang auf und ab.
"Mein Dad hat immer gesagt, dass ich meine Nase nicht in fremde Angelegenheiten stecken soll...", brüllte er, "...aber ich weiß nicht, Sir, Waffen sind nie gut. Ich hoffe Sie sind
mir nicht böse." Die Art des Jungen hatte etwas so Naives, Unschuldiges und Gutgläubiges, dass es David vielleicht früher in seiner Reinheit provoziert und wütend
gemacht hätte. Aber nun, David erinnerte sich inzwischen an alles, brachte es ihn fast zum Lächeln.
"Nein, passt schon. Hatte das Ding eh schon viel zu lange.", sagte er und richtete sich auf.
Der Junge lächelte.
"Mein Name ist José.", sagte er.
"David."
Sie saßen eine geschlagene halbe Stunde da, ohne ein Wort zu sagen, als José, dessen Unbehagen wieder gewichen war, einen Blick nach hinten warf,
David musterte und anscheinend nach Worten suchte.
"Wo soll's hingehen?", fragte er dann.
David hielt inne. Blickte auf die Prärielandschaft, die an ihnen beiden vorbeizog und hatte die Antwort schon längst parat, aber er ließ Zeit verstreichen,
ließ sich Zeit, die Wüste zu mustern und ihre Landschaft auf sein Gemüt wirken zu lassen. Diese Leere, diese unendliche, vollendete Weite....
"Zur nächsten Polizeistation."
José reagierte ein wenig unbeholfen und warf einen langen Blick in den Rückspiegel. David erwiderte den Blick.
"Zur Polizeistation, Sir?"
David blickte wieder aus dem Wagen.
José stellte keine weiteren Fragen. Die restliche Fahrt über sprachen sie kein Wort.


Ende

Pandoram Stream Pt. 2

Der 1. Irrtum

1.
Er war noch immer da.
Die Waffe war nicht losgegangen, der Lauf hatte ihn verschont, und obwohl er sich so sicher gewesen war, dass sein Hirn über den Wüstensand verteilt und sein
Leben beendet würde, saß er reg- und atemlos nach dem Klicken der Waffe da, höchst lebendig, und er fühlte sich seltsam betrogen.
Er klickte ein weiteres Mal, und erneut blieb es still, sein Kopf explodierte nicht.
Bevor ein weiteres Mal den Abzug tätigen konnte, entriss ihm der alte Mann die Waffe und legte sie zurück in seinen Schoss.
So frisch seine Interpretation der Ereignisse war, er hatte sie sofort und zutiefst bereitwillig in sich aufgenommen, er hatte das Gefühl, der ganze Restbestand seiner Existenz hing
an diesem empfindlichen Faden jener Erkenntnisse. Und die folgende, vom Knistern des Feuers unterlegte Stille brachte dieses erkenntnistheoretische Gerüst
zutiefst ins Wanken.
Lag er falsch?
War da keine Scham? Kein naturalistisches, kausales Emporkommen inmitten dieser Wüste?
Er hatte den alten Mann als unverrückbare Instanz anerkannt, wie er da saß, an jenem königlichem Feuer, mit dem silber verchromten Zepter seines tiefen
Verständnisses, als Werkzeug einer Gnade, die ihm zuteil wurde. Er hatte separiert, sein in dieser Wüste gemündetes Schicksal als trotzige, gottlose
und empirische Tatsache anerkannt. Hatte dem kosmischen Gericht eine klare Absage erteilt. Aber die Herkunft des Mannes, die Herkunft der Gnade,
die ihm zuteil wurde, nahm er hin, als hätte der gegeißelte, gehetzte Blinde eine Quelle der Wärme gefunden, und ohne zu hinterfragen würde er sich ihr
hingeben. Wie fadenscheinig, feige und oppurtinistisch diese Denkweise war, wurde ihm nun bewusst, und obwohl er sich selbst dafür vergab, er war
zutiefst verunsichert und fühlte sich zurückgesetzt. Aber der Gedanke, so schnell wie möglich diese Wüste zu verlassen und zu überleben war auf
seltsam selbstverständliche Art und Weise in den Hintergrund gerückt. Die Konfrontation mit dem alten Mann erschien ihm auf intuitiver Basis so viel
wichtiger als das bloße, plumpe Kämpfen ums Überleben.
Halluznierte er womöglich doch?
Stimmte es? War dies eine in seinem Unterbewußtsein organisch herbeigeformte Allegorie, ein Schauplatz eines Gerichtes, so vollkommen auf ihn ausgerichtet,
dass ihre Homogonität als klarstes Indiz ihrer Irrealität herhalten konnte? Er war ratlos, vielleicht dachte er zuviel.
Wie kam er auf diese Gedanken? Was trieb ihn in ihre Arme?
"Du musst wissen...", sprach der alte Mann erneut, "....dass das alles ist, was ich tun kann."
Der alte Mann lud die Waffe plötzlich nach. Nachdem er eine Zeitlang mit gesenktem Kopf geruht hatte, ohne ins Feuer zu starren, hatte er urplötzlich den Revolver
gepackt, wie von einem starken, heftigen Impuls zu einer Handlung gezwungen und holte die Kugeln einzeln aus ihrem Futter hervor. Die Trommel stand offen,
glimmerte im Angesichts der lodernden Flammen vielversprechend und voll ambivalenter prophezeilicher Kraft, und er schob die Kugeln langsam und entschlossen
in die ihnen zugedachten Löcher. Als die Trommel voll war, warf der alte Mann sie zurück und wand sich.
Blickte dem Mann tief in die Augen. Zwischen ihnen lag ein Meter, und er positionierte den Revolver genau zwischen sie beide.
Stille.

2.
"Erschieß mich."
Der Mann zuckte zusammen, als ob ihm diese Worte einen unsichtbaren Schlag verpasst hatten. Diese Welt hatte sein Verständnis für Gnade und die
Interpretation seines Platzes in dieser Wüstenwelt mit diesem Ausspruch des alten Mannes endgültig zerstört. Ihn erschießen? Wie konnte das sein?
War er es nicht, dem diese Kugel galt?
"Erschieß mich, oder ich erschieße dich.", flüsterte der alte Mann, und zum ersten Mal drang so etwas wie eine tiefe, gräßliche Wut durch den Klang
seiner Stimme hindurch. Er war plötzlich mehr als eine konstante, rätselhafte Instanz, auf einmal wirkte er wie ein zutiefst gedemütigter und
unsäglich wütender alter Mann. Seine Augen tränten vor Wut, er ballte die Fäuste und blickte seinem Gegenüber fest in die Augen.
Der Mann stockte. Rang um Worte. "Ich..." Er sah auf den Revolver, blickte zurück zum Alten, Schweiß schoss zwischen seinen Fingern hervor und
rannte über seine Stirn. Er spürte sie, die Angst, der Unglaube, der ihn überkam, als die Hitze seine Kehle hatte explodieren lassen, als der Regen
ihn mit einer Schlammlawine begraben hatte, und der Revolver und die Wut des alten Mannes reihten sich nahtlos in ihre Kette ein. Nicht nur hatte
seine Regel ihn in diese Welt gefüht, vielmehr kannte diese Welt seine Regel, nach der er gelebt hatte, dachte er plötzlich, sie kannte sie viel besser als er selbst,
er, dessen Erinnerungen nur aus Schnipseln, Gerüchen, Bilder- und Wortfetzen bestanden hatte. Er litt unter Amnesie, er lag im ( Koma ), ------>
"jene grinsende Allegorie", flüsterte er, ungläubig blickte er zur Waffe hinunter, er schluckte, Todesangst packte ihn,
"Erschieß mich oder ich erschieße dich..."; zischte der Mann plötzlich in einem inhumanen Tonfall, tief, grollend, er hatte den Eindruck, dass dies nicht mehr
die Stimme des Alten war, es war die Stimme des Feuers, das ihn zugrunde gerichtet hatte, des Regens, der ihn erstickt hatte, es war die Stimme dieser
Wüste, gerichtet an ihn. Er roch Feuerholz, sah dem alten Mann in die Augen,
dachte nicht daran, dass seine Todesangst, seine kümmerliche, gräßliche Furcht die lodernde Wut des alten Mannes besänftigen konnte, aber er
würde sich nicht wehren, weil es seine Bestimmung war, von der Hitze verzehrt, vom Regen ertränkt, von dieser Kugel gerichtet zu werden. Er wusste es,
deswegen hatte er so bereitwillig den Lauf an seine Schläfe gelegt. Die Wahl zwischen Leben und Tod war eine Farce, die Wut des alten Mannes die Zügelpeitsche, die ihn hetzen sollte,
und seine Finger wurden ruhig, sein Puls auch, diese Welt hatte ihn gefangen, ihn an Zyklen der Niederrichtung gefesselt.
Der alte Mann keuchte. Allein der Anblick seines bebenden Zorns vermochte sein Herz zum Stehen zu bringen.
Dann hielt er kurz den Atem an.
Der Mann verstand, dass dies nun seine letzte Chance war.
Er ließ seine Hände ruhen.
Der alte Mann atmete tief und langsam aus, griff zum Revolver, hielt sie auf Kopfhöhe seines Gegenübers, auf die Mitte der Stirn gerichtet.
Er sprach kein weiteres Wort. Brachte keine erklärende Geste hervor. Alles, woraus der Alte nun mehr bestand, war schäumende Wut.
Er drückte ab,
und der Mann spürte für einen unfassbaren Bruchteil einer Sekunde, wie seine Stirnwand einbrach und ein Fremdkörper seine Hirnwindungen
in Fetzen riss. Die Augen hatte er geschlossen, als er vermeintlich aufhörte, zu leben, mehr noch, als seine Existenz von der Wut des alten
Mannes niedergemäht wurde.
Dieser legte die Waffe zurück in seinen Schoss und blickte ausdruckslos in die knisternde Glut. Seine Wut hatte ihn im Moment des Abdrückens
augenblicklich verlassen und ließ den Ausdruck des gedemütigten, geprügelten Köters zurück, das schimmernde, gräuliche Morgenblau jedoch
blieb.


Der 2. Irrtum

1.
Er keuchte.
Erneut auferstanden. Er blieb liegen. Starrte ins Wolkengrau, rührte sich nicht. Er wusste nicht, ob er überrascht sein sollte. Vielleicht wütend. Was auch immer
angesichts seiner erneuten Wiederauferstehung angemessen wäre, er ließ es ausbleiben, der Phönix ging über in ein Stadium vollkommener Apathie. Jede Bewegung
war überflüssig, sinnlos, ihres Zweckes beraubt worden. Zurückgesetzt war er, der Phönix. Nur das Knistern des Feuers hallte in seinem Kopf wider, und als er die
Augen schloß spürte er plötzlich, dass die Anwesenheit des alten Mannes der Vergangenheit angehörte. Er war alleine, das wusste er. Nur er und das Feuer.
Langsam richtete er sich auf, fuhr sich durch seine Mähne. Sand rannte seine Schlefen hinunter, er spürte die Stoppeln in seinem Gesicht, die Trockenheit
seiner Haut. Vorsichtig berührte er seine Stirn.
Keine Wunde, nichts.
Ein etwaiges Funkeln erhaschte plötzlich seine Aufmerksamkeit. Der Revolver lag an der Stelle, wo der alte Mann gesessen hatte. Halb eingegraben, als
wäre sie von ihrem alten Besitzer in befreiter Zuversicht zurückgelassen worden, als stelle sie eine symbolische Last dar, derer man sich entledigen musste.
Aber für ihn war sie nun der einzige greifbare Gegenstand, der einzige materielle Bezug, den er hatte abseits stringenter Domänen der Trockenheit und Endlosigkeit.
Der Himmel hatte sich unmerklich verdunkelt. Der Eindruck eines in die Länge gezogenen, träumerischen Morgengrauens war dem Eindruck einer endzeitlichen
Dämmerung gewichen. Wieder grollte der Himmel hier und da, aber er, der Zurückgelassene, wusste mit absoluter Bestimmtheit, dass diesmal kein Regen fallen würde.
Er nahm den Revolver an sich, aus irgend einem Grund erhob er sich. Seine Knochen waren schwer, er war müde, als hätte er zu lange geschlafen und nicht als
hätte ein alter Mann just gerade sein Hirn mit einer Kugel aus diesem Revolver zerfetzt. Plötzlich überkam es ihn, er wollte auf Nummer sicher gehen
und öffnete die Trommel. Eine Kugel fehlte. Er war seltsam beruhigt.
Er ging ein paar Schritte, den Halfter der Waffe mit seinen schlaffen Fingern umschlossen und blickte um sich. Wo auch immer er war, das Feuer musste
so etwas wie einen Linchpin, einen Kernpunkt dieser Welt darstellen. Von hier aus konnte er die Ferne dieser Wüste besser begreifen. Nie würde es ihm
in den Sinn kommen, seine Kraft zu mobilisieren und loszulaufen. Er hatte verstanden, dass diese Wüste kein Ende hatte. Ohne den konkreten Gedanken
durchlaufen zu haben, hatte er seine Zweifel an diesen Ort, an seine Bedeutung revidiert. Er musste halluzinieren, musste in einer Schleife der Wahrnehmung geraten sein,
aber sein Glaube daran, dass er an diesen Ort gehörte, war nun unerschütterlich. Der alte Mann hatte sein Urteil gesprochen und war gegangen.
Es sei denn.....
Plötzlich hielt er inne. Warf einen Blick zurück auf die Feuerstelle, dessen Flammen zu keiner Sekunde schwächer zu züngeln schienen. Ein ungeheuerlicher Gedanke
überkam ihn, als er an die Wut, an die Verzweiflung des alten Mannes zurückdachte. Wie wenig er sich diese im Grunde erklären konnte.
Er war davon ausgegangen, ihn als ihm zugewiesene Instanz zu verstehen, die jene
deterministische Analogie zum gehetzten Tier herstellen sollte und ihn mit einer Erkenntnis füllen sollte, die ihn ewig an diese Wüste zu binden hatte. Er hatte
gespürt und angenommen, das Warum seiner dunklen Nichtigkeit überlassen und sich der Kugel gefügt, und bei all dem war er davon ausgegangen, dass
dieser Ort seltsam auf ihn ausgemünzt war. Er hatte jene gräßliche, unerträgliche Scham in sich selbst erkannt und in ihr ein Schlüsselerlebnis gehabt,
das finale Gefühl, das sein Schicksal vollendete und ihn hinnehmen ließ, an diesem Ort verbannt zu sein.
Auch wenn er nicht verstand, woher die Scham stammte, es spielte für ihn keine Rolle. Er nahm hin.
Aber plötzlich...plötzlich sah er das Gesicht des alten Mannes vor sich, diese gräßliche unerträgliche Qual in seinen Augen, diese Müdigkeit, die hervorkam,
nachdem diese stoische Unnahbarkeit weggebrochen war.
Es ging um diesen Ort.
Das Gefühl, eine bedeutsame Erkenntnis zu haben, war inzwischen seltsam dialektisch, aber diesmal fühlte es sich ungeheuerlich an.
Der alte Mann hatte ihn betrogen.
Die leere Feuerstelle, deren Flammen den Gezeiten der stagnierenden Fäulnis dieser Wüste getrotzt hatten, sprachen plötzlich Bände. Er und der alte Mann
hatten keine Verbindung, hatten nie eine gehabt! Wie er selbst, musste auch der alte Mann an diesem Ort gefesselt sein, wahrscheinlich so viel länger als er...
daher der Wahnsinn, die Verzweiflung in seinen Augen, dieses Meer aus Trauer und Unzuversicht, in dem sein Blick badete, dieses väterliche, gutheißende
Lächeln um seinen Lippen hatte er selbst, der Zurückgelassene, falsch ausgelegt, es war eine pure Erleichterung! Ein Ausdruck ewig herbeigesehnter Erlösung! Der alte Mann hatte auf
ihn gewartet, aber nicht, um mit ihm eine tiefe Wahrheit zu teilen, sondern weil der alte Mann wusste, dass er sein einziger Schlüssel war, diesen Ort
zu verlassen!
Die Feuerstelle war leer. Die Wüste war unendlich. Und wenn er nicht irgendwo begraben unter einem Sandteppich lag, aus unerfindlichen Gründen
erneut gestrandet in der Wüste, dann war er nicht mehr hier, er hatte die Wüste verlassen, und als der Zurückgelassene diesen Gedanken zu Ende
führte, stolperte sein Herz und ihm wurde plötzlich bewusst,
dass er mit dem alten Mann den Platz getauscht hatte.
Ein ungeheures Zittern erfasste seinen Körper, er ließ den Revolver fallen...
Wie konnte ich nur so töricht sein.......
Es hatte keine kausale, naturalistische Konsequenz seiner Lebensregel gegeben. Es hatte nie eine materialisierte Allegorie oder gar ein Strafgericht gegeben, nein
dieser Ort ruhte in sich selbst und kristallisierte sein glimmerndes Dämmerungslicht niemals um die Seelen der in ihr Gestrandeten herum, diese
Unendlichkeit wurde nicht um das Bewußtsein herum errichtet, sondern dieser Ort existierte um seiner selbst willen! Es war eine düstere, unbegreifliche Dimension,
die Gestrandete verschlang und mit ihnen spielte und keine vom Schmerz und Schicksal einer Seele abhängige, unterbewusst zuammengeschusterte Allegorie.
Eine unabhängige Dimension mit eigenen Regeln, mit einem Selbstzweck! Und der alte Mann musste das verstanden haben, und er musste auch verstanden haben,
dass der einzige Ausweg aus diesem Ort in der Macht des Revolvers lag, vielleicht war ihm das gleiche widerfahren, vielleicht war er selbst ein Glied in einer
bereits ewigen Kette der Gestrandeten, die aufeinander trafen und den Revolver, den Tod und das Gefängnis dieser morbiden Wüste aneinander weiter reichten,
ein Staffetenlauf der Ewigkeit, eingeführt für einen selbst durch das Ritual der Reinigung, durch Hitze und Feuer, und durch Kälte und Wasser...es musste so sein!
Wie kann es sein, dass er nicht durstete? Dass er die Hitze, die Kälte, die Kugel überlebte? Dafür konnte es keine natürliche Erklärung geben, das war nicht sein
Körper, er sah durch die Augen seiner Seele, die in einem Höllenkreis gefangen war, irgendwo verlaufen in der Hierarchie des Jenseits, an einem Ort gebunden,
der sich einen Dreck um seine Geschichte scherte, alles und jeden in sich aufnahm, der unglücklich genug war, in ihre Fängen zu geraten...wie auch immer ihm das
widerfahren war...und der alte Mann hatte ihn an seine Stelle gesetzt, indem er ihn erschossen hatte.
Daher der Ausspruch, es sei alles, was er tun konnte. Beiweilen, niemandem konnte wohl bei dem Gedanken sein, jemandem eine ewige Einsamkeit aufzubürden,
auch wenn die eigene Erlösung damit einher ging.
Eine ungeheure Müdigkeit erfasste ihn. Als er sich das Lächeln des alten Mannes in einer hektischen Bildsequenz nochmal vor Augen führte, lösten sich seine
Kräfte, und er brach zusammen.



David

1.
Es hatte nicht viel gefehlt. Das heißt mitunter, nicht viel Zeit, und er verlernte, zu sprechen. Anfangs hatte er sich damit begnügt, Hoffnungen aus den Litaneien
zu schöpfen, die er direkt an die Wüste gerichtet hatte. Prosaische Eskapaden, aus einer schwer zu erklärenden Intension heraus ästhetisch zusammengefügt
und einem Reimschema unterworfen. Vielleicht wollte er der Wüste schmeicheln, denn er hatte schon längst die Grenze zur Personifikation überschritten,
grub er seine Hände in den Sand, hatte er das Gefühl, in den Eingeweiden eines unermeßlich großen Organismus zu wühlen. Er hatte Löcher gegraben, metertief,
mit seinen bloßen Händen, den Revolver stets zwischen Gürtel und Hose geklemmt, einmal geriet er so tief in den Geweiden der Wüste, dass er tagelang Mühe hatte,
aus dem Loch herauszukommen. Hin und wieder regnete es leicht, aber nie so stark, dass das Knistern der Flammen irgendwie beeinträchtigt werden könnte.
In jenen Stunden, als er in der Grube verharrte, schaffte er es, kurzzeitig erstaunlich klar zu denken, vielleicht, weil ihm der Anblick der Weite erspart blieb. In diesen
Momenten begnügte er sich damit, sein Gesicht zu betasten, er legte seine Kleider ab, befühlte seinen Körper, spürte, wie die Zeit ihn ausmergelte. Seine Kehle und
sein Magen blieben stumm, aber der Körper litt wie unter einem stark verlangsamten, aber unaufhörlichem Prozess der Fäulnis, den er nicht aufhalten konnte und der
ein etwaiges, zwar ungeheuer qualvolles aber immerhin mögliches Ende in Aussicht stellte.

Er befühlte sein Gesicht, den wachsenden Bart, die langen Haare, umfasste die dürren Ärmchen, streichelte die eingefallenen Wangen. Sein Glied erschien ihm
wie ein fremdartiges, disfunktionales Ungeheuer, das den Prozess des Niedergangs am ehesten widerspiegelte, seine Hände waren zerschlissene, von tausend Falten
und Wunden überzogene Krallen, bisweilen verkrüppelt durch die schief zusammengewachsenen Brüche, die er sich einholte, als er, manisch und besessen vom
Gedanken, der Wüste mit dem Graben des Loches Schmerz zufügen zu können auf Steine traf. Auch in diesen Momenten wich er weinend zurück, als hätte die
Wüste ihm eine schallende Ohrfeige verpasst.

Einmal erwachte er aus seinem Halbschlaf, weil er sicher war, zu hören, wie sich zwei Wüstenkatzen über die Prärie hinweg jagten. Er sah ihre Silhouetten in der Dunkelheit,
rannte wie von Sinnen auf sie zu, doch der Sprint hatte ihn wach gemacht, und mit einem Schlag, obwohl ihr Fauchen noch nachhallte, glotzte ihn die ewige Dunkelheit
verwundert an und von den Katzen fehlte jede Spur. Er sah eine in der Luft schwebende Kette aus sechs metallenen Kugeln, die sich zu verschiedenen geometrischen Formen
und Raumvariationen zusammenfügten und ihn zwei Wochen lang verfolgten. Sie gaben ein konstantes, leises Summen von sich und schienen, obwohl bis auf dem Feuer keine
andere Lichtquelle vorhanden war, ein silbernes, flackerndes Licht zu reflektieren. Erst war er vehement geflohen, aber er ertrug es nicht sonderlich lange, vom Feuer getrennt zu sein,
denn die Feuerstelle war die einzige Quelle von Licht und Wärme, die er hatte, und desto mehr er sich von ihr entfernte, desto mehr spürte er, wie unsäglich kalt die
Wüste geworden war, wie unsäglich dunkel sie war, wie der unmittelbar anstehende Anbruch der Nacht. Irgendwann fasste er allen vorhandenen Mut und berührte eine der Kugeln,
worauf die gesamte Formation zu Quecksilber schmolz und im Wüstensand verrannte. Der Anblick der zerfließenden Kugeln wiederrum brach ihm aus einem ihm unerfindlichen
Grund das Herz, schlagartig hatte er das Gefühl, in den anfänglichen Schock und der Unfähigkeit, zu akzeptieren, zurückversetzt worden zu sein, und er weinte
bitterlich mehrere Tage am Stück. Als er dann irgendwann, erschöpft und innerlich zersetzt, einschlief, träumte er, klarer und deutlicher als je zuvor.


"David, komm da runter. SOFORT!"
Ich kann sie sehen. Die blöde Tante. Meine Finger hält sie da immer drinnen, wo sie das Brot backt. Aber ich hab keine Angst. Ich kann ihn sehen,
den Traktor, vom Onkel. Der schaut die Tante immer an, als wolle er sie beißen, aber mich beißt er auch. Ich komm von hier nicht runter, das ist ein
Baum, und der ist rot, und er ist mir. Ich will hier nicht mehr sein, aber sie zwingen mich. Eines Tages werd ich von hier fortgehen, und ich werde
Papa finden, ich werde Mama finden, ich werde ganz unhöflich sein, so wie die dunklen Muskelmänner, die die Tante immer bezahlt, damit
sie den Garten machen ( Die Tante hat den größten Garten, den ich JE gesehen habe ), und ich werde ihre Finger da rein halten, wo man Brot backt.
So wie es die Tante mit mir macht. Alle haben viel, und ich will auch was davon haben, die Tante sagt, der Baum gehöre mir nicht, jetzt
brüllt sie, dass sie mir weh tun wird, wenn ich nicht sofort runterkomme, aber die Tante ist so blöd, die weiß gar nix, dass mir der Wald mir den
Baum geschenkt hat. Mein eigener, roter Baum, und die Tante wird schon sehen, blöd gucken wird se, wenn ich ihr auch die Finger da rein halte,
wo sie das Brot macht, bis die Finger rot werden.


2.
Vielleicht war es das schönste, was er je gesehen hatte. Dass es zumindest das schönste war, was er seit seiner Ankunft in der Wüste gesehen
hatte, dessen war er sich sicher.
Der majestätische Stamm des Baumes ragte aus dem Feuer wie eine in Urglut geborene Lotusblüte und überragte alles. Der Stamm entsprang
der tiefen Glut und hatte ihre Farbe angenommen, jenes pulsierende, feurige Rot. Auf dem makellosen Verlauf der dicken, undurchdringlichen
Rinde wuchsen Äste aus gerötetem Fleisch, die wie Arme aussahen, gesprenkelt und mit erhitztem Wunderschorf übersät, wie abgesprengte
Gliedmaßen sahen sie aus, und die Finger waren schlaff und leblos. Oben auf dem Stamm saß die vom plötzlich starken Wind erfasste
Baumkrone, ein glutrotes, volles Blätterwerk und die ganze, überragende Haltung des Baumes schien ihn zu grüßen, den Zurückgelassenen,
wie bei einer Ankunft nach langer, beschwerlicher Reise.
Er griff mit seinen Händen nach der makellosen Rinde, beugte sich über das Feuer und ließ sich von den züngelnden Flammen verletzen. Er
berührte die Rinde und fing an zu stöhnen, spürte, dass der Baum leicht vibrierte und diese leichte, unmerkliche Schwingung auf seinen
Körper überging und eine leichte Erregung hervorrief. Sie war nicht sexuell, viel mehr ein starker Schauer, ein erbarmungswürdiger,
frischer Hauch von Bewegung und Wärme, der seinen Körper durchströmte und ihn breit grinsen ließ.
Plötzlich erzitterte der Baum, erschrocken wich er zurück und musste nun mitansehen, wie die Flammen in die Höhe schossen und das
Blätterwerk erfassten. Mit einem Schlag loderte der Baum auf, fing an zu glühen und wie eine grelle, anschwellende Sonne aufzugehen,
die Hitze drang den Zurückgelassenen zurück und entlockte ihm ein verzweifelt gehauchtes "Nein....", eine bitterliche Geste der Ablehnung
des Unvermeidlichen. Erschrocken und geblendet, von unsäglicher Hitze erfasst versuchte er sich zu schützen und gleichzeitig eine Möglichkeit
zu finden, das Lodern dieser Flammen zu unterbinden, den Tod dieses Baumes zu verhindern.
Er schlug mit seiner alten Jacke auf die Flammen ein, aber es war hoffnungslos. Mit tränenüberströmtem Gesicht musste er letzten Endes
zurückweichen, um nicht von der Gewalt des Zusammenbruchs erfasst zu werden, als der Stamm des Baumes plötzlich einknickte,
unzählige grelle Funken in die Höhe schossen und das Blätterwerk in einer einzigen reißerischen Bewegung von der Krone losgelöst und
nahezu einheitlich vom Wind in die Ferne getragen wurde. Als hinge sein ganzes Herz an diesem Baum, lag er nun in sicherer Ferne
zu dem Schauspiel auf den Knieen und brüllte unentwegt, als könne er damit der Zerstörung des Baumes etwas entgegensetzen.
Aber ehe er sich versah, war das Schauspiel vorbei, ein paar letzte Funken stiegen in die Höhe, das erloschene Blätterwerk verlor sich in der
Ferne und der eingebrochene, einst so majestätische Stamm heizte den Flammen ein. Der Baum war tot, der Blick des Zurückgelassenen
von einer schleierhaften, unergründlichen Leere beseelt.
Fassungslos starrte er auf die Flammen.

Wenige Sekunden später war er auf dem Weg durch die Wüste. Er rannte. Den Revolver hatte er bei sich, er hatte sich seit seinem Tod
durch den alten Mann zu keinem Zeitpunkt von ihm getrennt. Vielleicht, weil es das einzige war, was ihm geblieben war
und eine gewisse, schleierhafte Verheißung von ihm ausging. Aber das spielte keine Rolle mehr. Er würde die Wüste herausfordern,
würde soweit er konnte sich vom Feuer entfernen, das sich nun auf eine ihm unerklärliche Art und Weise rein intuitiv, auf eine
archaisch empfundenen Ebene als ein Wolf im Schafspelz, ein perfider Freund offenbarte, der einen unverzeihlichen
Verrat begangen hatte.
Also rannte er. Rannte soweit er konnte, bis das Feuer nur noch ein zu erahnendes, schwaches Funkeln in der Ferne war. Sein Körper
brannte und knirschte unter der Anstrengung des Rennens, und alsbald musste er aufgeben und sich mit einem langsamen, aber
nicht weniger entschlossenen Trott zufrieden geben. Ihm kam es vor, als er über die einheitliche Wüstenebnung schritt, die keine
nennenswerte Erhebungen oder Senkungen beinhaltete, als sei er Wochen in vollkommener Dunkelheit gelaufen. Kein Stern
am Himmel, hier und da fiel leichter Nieselregen und inzwischen war das Feuer hinter ihm nicht mehr auszumachen. Es war zu einem
kleinen, nicht mehr wahrnehmbarem Funkeln zusammengeschrumpft, und als er das registrierte, wie weit er den Linchpin dieser
Welt hinter sich gelassen hatte, überkam ihn das erste Mal seit einer empfundenen Ewigkeit ein Gefühl von Stärke, Macht und
Selbstbestimmtheit. Diese Welt musste ein Ende haben. So etwas wie Grenzenlosigkeit gab es nicht, und er würde die Grenzen
dieser Wüste ausfindig machen, und wenn er ewig laufen musste. Zu lange hatte er sich damit abgefunden, an diese Welt gekettet
zu sein wie ein bemitleidenswerter, vollkommen entwürdigter Köter. Zu lange. Er dachte an das Lächeln des alten Mannes, rief
es in Erinnerung, gedachte seiner Worte und flüsterte sie langsam vor sich her...."...ein gehetztes, gepeinigtes Tier...."

Es war perfekt gelaufen. Kollateralschaden mitinbegriffen, aber der König durfte nun in seinem blauen Dunst weilen, das Falsett
bedienen lassen, das jene unverblümte Melodie des Sieges über die Staatsgewalt hervorbrachte. Diese Wichser. Was hatten wir im Vorfeld,
geplant, durchdacht, kalkuliert und an Risiken mit einbezogen, und alles war gut gegangen, zwei Cops mussten leider den Löffel
abgeben, was solls, wir sind reiche Männer. Ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass die Geschichte gut geht. Es war
zu riskant, zu....hirnrissig, aber Kristof hatte die Sache minutiös geplant, und was soll ich sagen, ich ging da rein mit ner
gewissen Todessehnsucht und kam heraus als reicher Mann, man muss sich sein verdammtes Glück eben nehmen, wenn die
nicht damit rausrücken wollen. Diese verfickten Hurenbastarde. Das hatten sie davon. Das hatten sie alle davon. Kristof's
Lachkrampf hat endlich aufgehört, die Pfeife geht rum und wir zischen über die Interstate, ich bin endlich frei. Der Hunger,
die Jahre der Verachtung, der Ausgrenzung waren vorbei, endlich hatte ich die Mittel, mir zu nehmen, was ich wollte. Ich
war endlich mein eigener Herr. Ich würde mir das erste Mal Geltung verschaffen.

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