Sonntag, 26. April 2009

Threads Pt.4 : "Kräfte, die es nicht gut mit mir meinen."

Der gesammelte Schmutz in den Rillen zwischen den Kacheln kam als erstes dran. Obwohl ihr Wüten überall in der gesamten
Suite regelrechte Spuren von Dreck und Selbstvergessenheit hinterlassen hatte, begann er mit dem Schimmel,
der sich ohne ihr Zutun über die Jahre zwischen den Kacheln gebildet hatte. Im Waschbecken stapelte sich das Geschirr, und Fetzen der
Bettdecke, von denen er nicht sagen konnte, wie sie in die Küche gekommen waren, hingen in seinen Haaren, lagen zerstreut
herum, rubinrote Überbleibsel einer indischen Gottheit. Etwas knisterte und weichte die Stille ein wenig auf,
was ihm half, sich zu konzentrieren und ganz seiner Aufgabe zu widmen.
Mit unbändiger Kraft rieb er
den Schimmel auf, penibel und sorgfältig, und dass Christine, leblos, mit Würgemalen am Hals,
wie eine Stoffpuppe, derer man sich achtlos entledigt hatte, in den Trümmern des Mahagonitisches lag, spielte sich in einem
anderen Zimmer, in einem anderen Kosmos ab. Er war hier, sie war dort. Einzig die Stille schlug ein eisernes Band zwischen
beide, weshalb er nackt auf den Kacheln kniete und schrubbte.
Nachdem er neben ihr aufgewacht war, hatte er sofort verstanden, dass sie tot war, noch bevor er sie erblickte.
Die Gewalt,
mit der es passiert war, hallte unbestimmt in diesem Raum nach und hatte ihn als erstes erfasst, als er zu Bewußtsein gekommen war.
Etwas Schreckliches war passiert, hatte ihn zutiefst erschüttert und seine gesamte Welt auf den Kopf gestellt, aber sein Geist hatte
während des luzidalen Deliriums zwischenzeitlich
ganze Vorarbeit geleistet und die Ordnung wieder hergestellt. Er fühlte sich ausgeschlafen, ruhig, und ging nun dem Impuls nach,
seine überschüssige Energie am Chaos auszulassen, das sie hinterlassen hatten. Dennoch, bei aller Konsequenz, etwas hing ihm nach, ließ ihn nicht los.
Er ärgerte sich, dass er ihr
in einem Anflug sentimentalen Wehmuts die Augenlider geschlossen hatte, mehr als das, es quälte ihn. Warum, konnte
er sich auch nach reifster Überlegung nicht beantworten. Vielleicht war es, so salopp und beiläufig er es getan hatte, ihrer
nicht würdig gewesen, anderseits waren es die Male an ihrem Hals ebenso wenig, und diese zogen kaum seine Aufmerksamkeit
auf sich. Vielleicht, mit großer Wahrscheinlichkeit,
war ihm diese Sentimentalität vor sich selbst peinlich. Abgesehen davon, dass sie zweifelsohne unangebracht war, es erschien ihm,
stellte Chris fest und hielt inne, einfach albern.
Zufrieden richtete er sich auf, klemmte das Haar hinter die Ohren
dann begab er sich ins Wohnzimmer und betrachtete sie.
Sie lag noch immer, nackt bis auf eine beigefarbenes Nachthemd in der gleichen, lächerlichen Pose im Trümmerhaufen des Tisches,
das rechte Bein hing reglos über der Couchlehne,
die Finger an ihrer linken Hand waren alle ausnahmslos gebrochen und standen in absurden Winkeln ab.
Dass ihn ausgerechnet ihre groteske Nacktheit, diese naturgegebene Anmut ihres Körpers in dieser
schmerzlich anzusehenden Pose mit Bitterkeit erfüllte, trieb Chris die Zornesröte ins Gesicht, er war
seiner Gefühle nicht mehr Herr, das galt es nun zu erkennen und einzusehen. Hier, in diesem Raum hatten Kräfte ihre Finger im Spiel, die es nicht gut mit ihm meinten.
Er beschloss, zu handeln.
Langsam näherte er sich ihr, umfasste vorsichtig ihr rechtes Bein, und begann, die Leiche unliebsam aus den Trümmern zu zerren.
Als sie dann ausgebreitet vor ihm lag, begab er sich zurück in die Küche, füllte einen Topf mit kaltem Wasser und goss ihn ihr über. Das machte er sechs, sieben Mal,
bis der gesamte Boden des Wohnzimmers unter Wasser stand und sich ein widerwärtiger, schleimiger Film auf ihrer Haut bildete. Als er dann
den leichten Schlag ins Rot wahrnahm, der das Wasser verfärbte, erfüllte ihn ein Ekel, den er in keinster Weise mit der Leiche in Verbindung brachte, es war der
strikte Anblick dieser Farbe, der Übelkeit in ihm hervorrief. Sie wollte und schien nicht recht ins Bild passen zu wollen. Wie gesagt, in diesem
Raum waren ihm die Kräfte nicht freundlich gesonnen. Sie waren auf ihrer Seite. Sie. Die ihn bewundert hatte. Die zu ihm aufgesehen, ihn auf eine
verschrobene, aber aufrichtige Weise geliebt hatte. Was in Gottes Namen war hier passiert? Wie hatte es so weit kommen können?
Hatte sie ihn provoziert? War er über sie hergefallen, weil sie ihn wütend gemacht hatte, und war es dann, inmitten des luzidalen Rausches zu einem
unglücklichen Mißgeschick gekommen, der ihr das Leben gekostet hatte? Schweigend betrachtete Chris den toten Schneeengel zu seinen Füßen und musste
feststellen, dass die Würgemale, die gebrochenen Finger und die vielen blauen Flecken nur einen Schluss zuließen: Er hatte ihr gezielt Schmerzen zugefügt.
Er hatte sie aus einem vermeintlich rational gefassten Entschluss umgebracht. Es war kein Unfall gewesen. Die Gewalt, die er ihr angetan hatte, hatte
ihren absonderlichen Zweck erfüllt. Ärgerlich, dass er sich an diesen nicht erinnern konnte. Dass er sich an rein gar nichts erinnern konnte, nur diese
dumpfe, schreckliche Woge, die in ihrem Aufkommen so seltsam dialektisch war für jedes Mal, wenn er eine Grenze überschritten hatte, um an
einen Ort zu kommen, der neues versprach und die Welt mit einem neuen Glanz versah, der Progressivität und Leben verhieß. Veränderung der Wahrnehmung
um jeden Preis. Das Verschieben der Prioritäten. Altbewährtes verliert an Bedeutung, um nach langer Zeit, an einer anderen Weggabelung wieder
als frische Quelle des Seins herhalten zu können. Ein Zyklus. Ungemein komplex und doch auf bedrohliche Art und Weise reduziert, wenn man sich
ihm vom falschen Ausgangspunkt nähert. Dem galt es vorzubeugen. Es tut mir leid, Christine.
Er ging zurück in die Küche und fuhr damit fort, die Rillen zwischen den Kacheln zu säubern.

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