Mittwoch, 15. April 2009

Threads Pt.2 : Der Schakal

Das Theater war auch diesmal bis auf den letzten Platz gefüllt, aber diese Audienz war stiller als die anderen zuvor. Oftmals hatten sie die Schlüsselszenen des Stückes mit Bigotterie und einer
vielversprechenden Unruhe bedacht, so hatten es die Erfahrungen der letzten Aufführungen gezeigt. Angeregtes Murmeln,
staubiger Dunst aus Fasern und Bühnenrauch, der die Aula vernebelte, elektrisierende Erwartungen, Scheinwerfer, die
ihre Lichtbalken über die Köpfe des Publikums warfen. Es war ein Abend wie unzählige zuvor auch.
Auch hier: ein Band der gemeinsamen Entdeckungsreise,
der geistigen Brüderschaft, welches die Gedanken der Menschen in einem abgedunkelten Schweif vereinte, und auch dieses Publikum schien sich untereinander
in Andacht überbieten zu wollen. Aber schien es zugleich auf eine Art und Weise gebannt, die Christine Kopfzerbrechen bereitete. Vielleicht, weil
es ihr schwer viel, die in Teilen des Publikums erdrückende Stille auf eine Art und Weise zu deuten, die es ihr leichter machen würde,
auf die Bühne zu gehen.
Die Handlung steuerte aber nun unerbittlich auf einen Klimax zu, dessen elementarster Bestandteil sie selbst war.
Eine Kulmination tragischer Ambivalenzen stand bevor, um eine
weitere, häßliche Fratze der Eigendynamik der dargestellten Leben aufzuzeigen, die in diesem Stück ineinander verflochten waren.
Christine hatte noch geschätzte fünf Minuten,
um sich zu sammeln und in ihrer Rolle zu bleiben. Hinter der Kulisse kauernd, auf einem untersetzten, klapprigen Holzstuhl ließ
sie die Schminkprozedur ausdruckslos über sich ergehen. Aufgescheucht hetzten die Kostümdesigner und Tontechniker
an ihr vorbei, anscheinend gab es ein Problem mit den Boxen, die Wagner's pompöse Wogen über die Audienz ergehen ließen. Ein
häßliches, schmerzhaftes Knistern entsprang der P.A., im Publikum breitete sich nun mehr und mehr Unruhe aus. Francois gestikulierte wie
von Sinnen und flüsterte heiser auf die zwei Tontechniker ein, der Regisseur, sein Werkzeug, und ihre asymmetische Kommunikation. Brach die musische Symbiose, waren
sie einander nicht mehr genug wert, als dass man sich gegenseitig mit Respekt behandeln konnte, versagte man jedoch an entscheidenden Stellen,
konnte man sich den regelrechten Hass der Direktive
zuziehen. An Christine zog diese Hektik vorbei. So unberührt sie vom selbstgerechten Zirkus um sie herum war, so erregt und eingenommen war sie vom prägenden, einzigartigen
Ausblick, den sie von hier aus auf das Publikum hatte.
Durch einen Schlitz in der Kulisse konnte sie die Menschen in der Aula deutlich sehen.
Auf eine Art und Weise, wie die Audienz sich nicht mal untereinander wahrnahm, entging ihr nicht kleinste Zucken, nicht die
unbedeutendste Regung in den Gesichtern der ersten zwei Reihen. Entzückt von der behäbigen, langsam in Fahrt kommenden Wirkung des Stückes brauchte Christine
nur diesen einen kleinen Schlitz, um die Früchte der gemeinsamen Arbeit zu ernten. Ein kleiner voyeuristischer Anreiz, ein wahrhaftiger Blick auf
die Reaktionen derer, die aufgewühlt, entgeistert oder verstört werden sollten. Normalerweise zauberten adaptierte Motive griechischer
Tragödien auf den gräumelierten, altwissenden Gesichtern höchstens ein vieldeutiges Stirnrunzeln. Francois hatte sich auf
gefährliches Terrain begeben, aber es schien zu wirken. Blondierte, in teure Kleider eingekaufte Begleiterinnen machten die schuldbewusste
Miene, die nötig war, um mit der echten Rührung in Teilen des Publikums Schritt halten zu können, manche Augen funkelten glasig,
andere schienen wiederrum seltsam desinteressiert.
Erst als Christine ein heiseres
Schluchzen aus der zweiten Reihe vernahm, schlich sich bei ihr die seltsame, langsam aufkeimende Entgeisterung ein. Die gesamte, widersprüchliche Idee der
Emulation und Darstellung von Schmerz, Verlust und Entbehrung wurde ihr unangenehm bewusst. Sie war ein Teil davon. Für einen kurzen Moment empfand sie nichts weiter
als Verachtung für das gesamte Konzept und für die echte, aus schutzbefohlener Distanz heraus empfundene Rührung
des Publikums. Es hätte erzieherischen, aufwühlenden, erregenden Kritierien unterliegen und einem sinnvollen Zweck gerecht werden
können, in der Theorie vielleicht, in der Idee, die dem ganzen zu Grunde lag. Aber in dieser gigantischen, in ihrer Selbstgerechtigkeit
schmarotzenden Aula war davon nichts zu spüren. Aus jenem voyeuristischen, unbemerkten Schlupfwinkel heraus dachte Christine nichts weiter als heitere Gier und
faule, übersättigte Schöngeistigkeit in den Gesichtern zu erkennen, die dem tragischen Kern der erzählten Geschichte wie ein
hämischer, unbeweglicher Monolith gegenüberstanden. Es war widerwärtig, und sie war mitten drin, fütterte die Bigotterie. Betörte
mit ihrem Körper und instrumentalisierte ihre Weiblichkeit für ein Stück, das ihr von Minute zu Minute lächerlicher und gezwungener erschien.

Kurz darauf baute sich Mike, der Regieassistent vor ihr auf und deutete ihr mit den Fingern, dass ihr noch eine Minute blieb.
Schweigend erhob sie sich, strich ihr mit Kunstblut überzogenes Blumenkleid glatt, und wartete. Ihr Kopf leerte sich nun zusehends,
sie war willens, der tragischen, undankbaren Opferrolle Katharinas die nötige Aufmerksamkeit zu schenken.
Ihr fast elbisch anmutendes Gesicht war ebenfalls mit roter Farbe besprenkelt, ihr pechschwarzes Haar durch Melkfett aufgequollen
und zerzaust. Sie simulierte den Anblick einer Frau, die durch die
Hölle gegangen war. Mit eiserner Konzentration holte sie das befremdliche, eiskalte Funkeln in ihre Augen zurück, ließ sie ihre
Haltung in sich zusammensacken, holte sie das leichte Zitttern in ihre Gliedern zurück. Die gebrochene, von Welt und Pöbel
geschundene Katharina, die Märtyrerin der Schöngeistigkeit, die in der kommenden Szene fassungslos mitansehen würde,
wie ihr Geliebter von einer wütenden Meute gelyncht und in eine Wanne voll Milch ertränkt würde.
Sie atmete durch. Francois warf ihr einen gestressten, fragenden Blick zu. Ein kaum merkliches Lächeln ihrerseits signalisierte
ihm gerade deutlich genug, dass sie bereit war. Mit geballten Fäusten schritt sie zum Ausgang an der Kulisse und wartete auf den Schlüsselsatz,
der ihr Auftreten einläuten sollte.
"Und so soll die Hure brennen, die ihren Schoß diesem Diener der Tyrannei schenkte, so solle sie mitansehen, welches harte
Urteil der Gerechte und der Geläutete über die Brut ihresgleichen bringen wird..."
Christine trat näher an den Ausgang.
"Sie soll leiden."
Sie schritt durch die hölzerne Pforte und berührte mit nackten Füßen das Pakett der Bühne. Ihr eisernes, kaltes Auftreten
kam so plötzlich und unverhofft, dass es Teilen des Publikums den Atem verschlug. Ein in blutigem Schnee gekleideter, verbrauchter
Engel, ein seichtes Lächeln im Gegenwind der Schatten, die aus der Dunkelheit am anderen
Ende der Bühne krochen. Sparten und Schaufeln warfen ihre krummen Formen zu Christine's Füßen, Staub lag träge, wartend in der
Luft und die Unruhe, das Murmeln, alles war zum Erliegen gekommen. Die plötzlich geläutete Andacht der Menschen
warf Christine die Bigotterie zu Füßen und wartete darauf, dass sie daraus einen harmonischen Klumpen formte, der ihnen
ihren Platz in der Wirkung des Stückes zuwies,
sie erotisierte, sie mit ihrer Gebrechlichkeit herausforderte.
"Ich weiß nicht, was ich getan habe, um euch verdient zu haben...und von allen Lastern, die Ihr mir vorwerfet, wiegt das
der Hurerei noch am wenigsten...es ist die Absicht, die ihr mir unterstellt, die mir das Herz zerreißt..."
Und schlagartig, auf jenem Stichwort, vibrierte der Pakett unter Christine's Füßen, und aus dem dunklen Zelt, das die
dramaturgische Bedrohung verhieß, rollten Bauern und Mägde, maskiert mit dem Antlitz von Bär, Eule, einem Schakal und
einer Katze eine goldene
Badewanne auf die Bühne, das als Insignium für das tödliche Ritual herhalten sollte, das Christine's Gemahl erwartete.
Abrupt brachte der maskierte Pöbel die Wanne wenige Meter vor Christine zum Stehen, ein wenig Milch schwappte über
und läutete mit einem leisen Plätschern fast hörbare Stille ein.
Christine musterte die ausdruckslosen Fratzen und fühlte sich seltsamerweise bedroht.
Irgendjemand riss die Tür zur Aula auf, und schleppend, fast träge fiel eine eiskalte Woge über das Publikum und die Darsteller her.
Geduldig wartete Christine das Wirken des kalten Windes ab. Ihr Blick war in der ganzen dunklen Unbestimmtheit
des Publikums verhaftet, ihre fast entblößten Brüste, ihre unnatürlich weiße Haut hatten etwas verboten Kindliches.
Als sie ihre Lippen öffnete, hielten ihre Augen, ihre ganze Haltung dem zögerlichen Voyeurismus mit Leichtigkeit
stand.
"Tue ich euch denn nicht leid?", fragte sie in die Stille hinein.
Das Publikum antwortete nicht.
Darauf bedachte der besprenkelte Engel die peinliche Rührung der Menschen mit einem vielsagenden Wimpernschlag. Die
Tierfratzen ihrer Peiniger warteten, zeigten keinerlei Regung. Jemand atmetete schwer, und Christine befremdete es zutiefst,
dass in einem Raum mit mehreren hundert Menschen ein schweres, erwartungsvolles Keuchen das einzig hörbare Geräusch
war.
"Wo ist er? Ich suche meinen Mann.", flüsterte sie.
Ihre schweigenden Peiniger liefen nun in einem leichten Bogen auf sie zu, die Arme fest an den Körper gepresst. Immer wieder
wiederholte Christine ihre Ansage, ihre Gesichtsmuskeln spannten sich, sie bohrte ihre Fingernägel in die Hüfte.
"Wo ist er....", bibberte sie. Der Schakal, gemessen an der Anordnung des schleichenden Näherkommens, schien ihr Anführer zu
sein und stand alsbald direkt vor ihr. Die Augen waren verhüllt durch pechschwarzes Plastik, in dem sie sich
selbst sah. Ihre abstehenden Haare, ihre fassungslose Miene. Sie war versunken in der Rolle und schien besser
und adäquater denn je fühlen zu können, wie Katharina zumute sein musste. Die erdrückende Stille umwarb ihren gespielten Kummer, und
Francois' Idee mit den Tiermasken tat ihr übriges. Die Entmenschlichung ihrer Peiniger machte es Christine
noch leichter, die kommende Verschlingung ihrer Existenz sehen kommen zu können. Der Schakal, dürstend, still, starrte sie an, und sie starrte zurück,
bereit ihre Tränen zurückzudrängen.
Er fing an, sie zu beschnuppern. Mit der Schnauze voraus begrub er sein Gesicht immer entschlossener zwischen ihren Brüsten, seine
Hände schossen hervor, packten sie an der Hüfte, zerrten sie an sich. Ungewollt begrub Katharina ihre Tränen im grausilbrigen Fell
des Schakals und stemmte sich unentschlossen, erschöpft gegen die gewaltige Präsenz des Mischwesens. Es keuchte, und seine Mittäter legten ihre Köpfe
schief, als würden sie aus der Szenerie nicht so recht schlau. Seine Pranke fuhr ihr zwischen die Beine, streichelte und
presste, Katharina keuchte atemlos, aber sie hatte keine Wahl. Sie gab der drückenden Körperfülle des Schakals nach, er
legte sich auf sie, sein heißer Atem, seine Zähne, seine klebrige, trockene Zunge wanderten durstig und hungrig über ihren Körper.
Die Stille des Publikums war ungebrochen.
Dann versank die Fratze in Katharina's Schoß und gab ein ersticktes Brüllen von sich. Katharina riss den Mund zu einem lautlosen
Schrei auf, ihr Körper begann sich auf- und abzubäumen und ihre Hände griffen auf der Suche nach Halt ins Leere.
Das Mischwesen rammte seinen enormen Kiefer in ihren Schritt und brüllte, erregt und benebelt vom herrlichen Umstand ihm ausgelieferter
Gebrechlichkeit und verging sich an Katharina in einem übermannenden Blutrausch. Katharina schluchzte, als die Zähne ihren zarten,
weißen Schosses durchbrachen, das fletschende Geräusch von nachgebender Haut erfüllte sie mit
namenlosem Entetzen, sie schrie, schlug um sich, aber die Pranken des Schakals
hatten sie fest im Griff.
Langsam machte sich Unruhe im Publikum breit.
Die Szene schien unnatürlich gedehnt, Katharina's Vergewaltigung zog sich über mehrere Minuten hin. Die Mittäter flankierten
die goldene Wanne und rührten mit ihren unmenschlichen Fingern gedankenverloren in der milchigen Brühe. Desto lauter der Schakal
brüllte und desto spitzer und grenzwertiger Katharina's Ausstoße wurden, umso desinteressierter verloren sich die anderen Tiere
in scheinbaren Tagträumereien. Abgelenkt von ihren Spiegelbildern in der leicht beigefarbenen Milch saßen sie um die Wanne und
schienen zu gähnen, während sich um Katharina und dem Schakal eine riesige Lache roter, glänzender Farbe bildete.
Dann schien es vorbei. Katharina war nicht tot, aber jegliches Leben war aus ihrem Gesicht getilgt worden. Das Entsetzen war erkaltet
und zur Ausdruckslosigkeit erstarrt, zurück blieb ein flimmernder, die Leere über sich absuchender Blick.
Der Schakal hob langsam das blutdurchtränkte Maul aus ihrem Schoss, riss den Kopf in die Höhe und beschien seine Beute mit einem
kernigen, markerschütterndem Gebrüll. Dann erhob er sich, noch immer im blutigen Trance behaftet, stolperte zur Wanne und säuberte sein
Maul mit der Milch. Katharina blieb liegen und schob ihr Kleid zurück. Ein leiser Abgesang entging ihren Lippen. Sie sang und wandte
sich in ihrer Blutlache, wartend darauf, dass ein weiterer Akt der Gewalt sie endgültig vernichten würde.
Die anderen Tiere musterten den Schakal währenddessen erstaunt. Keiner von ihnen war interessiert an Katharina's Schicksal,
sie waren hingerissen vom Anblick des Schakals, seinem blutigen Maul, seinem wackligen, betörten Gang. Sie schienen sich
für ihn zu freuen.
Als der Schakal dann sein gesäubertes Maul hob, deutete er in die Dunkelheit, aus der die Tiere die Wanne gebracht hatten. Sofort
standen die Mischwesen auf und verschwanden flink in die Dunkelheit.
"Ich suche meinen Mann...", flüsterte Katharina.
"Wo habt ihr ihn...hingebracht..."
Der Schakal warf einen plötzlichen Blick über seine Schulter auf Katharina und bleckte die Zähne. Ein gepresstes Grunzen entwich
seiner Schnauze, Katharina's Anblick machte ihn erneut geil und hungrig. Er wandte sich ihr zu und kam langsam näher, während
Katharina panisch unter seinem Schatten wegkroch. Ihr gesamter Körper war nun mehr oder minder gänzlich in jener roten Farbe getaucht,
von der der Schakal so gierig getrunken hatte, aber es tat dem Anblick ihrer Wehrlosigkeit keinen Abbruch. Die Fratze des Mischwesens hellte
sich gerade in Anbetracht der neuerlichen Mahlzeit auf, als seine Komparsen zurückkamen, hinter sich eine bewusstlose,
malträtierte Gestalt schleifend.
Katharina sah mit an, wie sie ihn vor die Wanne schleiften, wehrlos, niedergedrückt vom Schatten des Schakals.
Unliebsam und rücksichtslos zerrten sie ihn auf die Beine und offenbarten dem
Publikum sein zerbeultes, von trockener roter Farbe überzogenes Gesicht. Die Manschettenknöpfe seines Hemdes hingen
teilweise lose an hellblauen, feinen Fäden, das Hemd selbst hing in Fetzen und er wehrte sich mit fahrigen, langsamen Gesten gegen die bestimmten Regungen der Mischwesen. Ihre Hände
wanderten über seinen Körper, zerrten an ihm, zerkratzten seinen Rücken, stießen ihn hin und her. Der Gemahl und sein Schicksal.
Sein Gesicht war kantig, aber sinnlich,
eine archetypische, schöne Kreatur, deren formale Schönheit für die Mischwesen in erster Linie formale Unterwürfigkeit implizierte. Er war ihnen ausgeliefert,
und sie schienen es zu genießen. Ihre unberührten Fratzen fuhren mit der Schnauze voraus über die offenen Stellen seiner Haut, leckten
über das getrocknete Blut. Der Schakal war es dann, der seinen Haarschopf packte und sein Gesicht in die Wanne drückte.
Katharina fühlte eine Woge der Wärme aufkommen, eine sehr strikte, endgültige Form von Frieden machte sich in ihrem Herzen bemerkbar. Sie ließ
innerlich los und verweigerte dem Schakal
den Anblick ihrer schieren Verzweiflung. Die Milch lief über und bildete eine weiße Pfütze. Katharina's Gemahl wehrte sich müde gegen seinen kommenden
Tod, presste seine Arme gegen den Peiniger immer wieder mal, stoßweise, und gurgelte, ehe er nachgab und sich mit dem ganzen Körper
in die Wanne hieven ließ. Ein kurzes Aufschreien im Publikum, ehe das einst makellose, nun zerbeulte Gesicht im tiefen, milchigen Gewässer
verschwand. Weiße Fäden zierten die Außenseite der goldenen Wanne und gewannen an Dichte, während die Mischwesen den leblosen Gemahl
zu taufen schienen. Behutsam legten sie ihre Pranken auf seine Brust und drückten ihn sanft unter die Oberfläche, ließen ihn auftauchen,
drückten ihn wieder nieder, ließen ihn auftauchen, und wiederholten dies unzählige Male, bis Stille einkehrte.
Der Schakal suchte Katharina's Blick währenddessen auf unbeholfene, gierige Art und Weise, als erwarte er Dank oder Lob
für die Ermordung ihrer Liebe.
Aus der Vielfalt der Möglichkeiten, die Reaktionen und den Schmerz der Katharina in jenem Moment zu verkörpern, wählte Christine ein vielsagendes,
entrücktes Lächeln, einen leeren, ausdruckslosen Blick und eine trotzige, entschlossene Haltung ihres geschundenen Körpers. Sie
ging auf den Schakal zu, mit geballten Fäusten. Sie wirkte nicht wütend. Von ihr ging eine fatalistische, aber keineswegs bedrohliche Ruhe aus,
so dass der Schakal seine Arme ausbreitete und sie willkommen hieß in den Kreis der Mischwesen.
Doch sie blieb stehen.
Fixierte den Schakal, die Eule, die Katze und den Bär, und ihre Lippen lösten sich langsam voneinander. Sie suchte ihre Stimme, um der
drohenden Selbstauflösung mit einer letzten Frage zu begegnen.
Der Schakal senkte seinen Arm und legte den Kopf schief.
Katharina trat nahe an ihn, legte ihm die Hand auf die Schnauze und schloss die Augen.
Der Schakal zitterte unter ihrer zärtlichen Berührung und wartete ungeduldig ihre Worte ab.
Katharina riss die Augen auf, sah ihn an und flüsterte:
"Wer seid ihr?"
Der Schakal schien nicht recht zu verstehen. Unentschlossen und im allzu krassen Widerspruch zu seinem vorhergehenden Übergriff
zog er seine Schnauze verschüchtert unter ihrer Hand zurück. Ihre entwaffnende Konfrontation schien ihm den Hunger und die Geilheit
zu rauben.
"Wer seid ihr, dass ihr über uns richten dürft? Ihr habt uns gehetzt, an Wände aufgereiht, uns paralysiert, geschändet und gerichtet. Dabei
hatten wir bis zu jener Nacht nie ein Wort an euch gerichtet, nie euer Wesen verurteilt."
"Ihr habt uns unterworfen. Das...hat uns unterworfen...", flüsterte die Eule und deutete mit dem Finger auf ihren halbnackten
Körper. Katharina folgte mit den Augen dem Finger und brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, dass die Eule ihre zarte, einst
unberührte Haut meinte.
"Wir sind Sklaven im Dienste eurer Schönheit gewesen. Ihr habt uns das Wort vorgegeben. Jedes einzelne. Weil es umso viel....
gewichtiger klang. In unseren eigenen Ohren, die Arien unserer Mütter überlagernd, die Schatten unserer Ahnen verleugnend,
sind wir euch zu Füßen gefallen..."
Katharina schmunzelte leicht. Aus einer ihr nicht erklärbaren Intention berührte sie das schwarze Plastik, das die
Iris dahinter verbarg.
"Und wenn schon...keine Schuld trifft uns für eure Bereitwilligkeit..."
"Doch...ihr wusstet um unsere Demut. Ihr wusstet um die schiere Erbärmlichkeit dieser Demut...
...und ihr nahmt dennoch hin..."
Katharina sah die sprechende, nun aufrecht stehene Eule direkt an und ließ vom Schakal ab. Ihr blutiger Schoss gab einen riesigen
dunklen Fleck inmitten einer fast schneeweißen Gestalt her und ließ sie nicht weniger als Mischwesen erscheinen als ihre Peiniger.
"...ihr hättet unseren Fluch brechen können...
...aber er schmeichelte euch zu sehr...und ihr ließet zu, dass aus uns Schakale, Wölfe, und Bären wurden..."
Die Stimme der Eule drohte wegzubrechen. Großer Schmerz schien sich aus dieser Wahrheit zu schöpfen, aber Katharina
ging ihr trotzig entgegen.
"Und somit haben wir uns schuldig gemacht? Mit unserer Gier?"
"Ja."
"Nein. Mit unserer Andersartigkeit...unserer...Überlegenheit haben wir uns in euren Augen schuldig gemacht, und das werden
wir bis in alle Ewigkeit sein. Eine vorgeburtliche Schuld, die euer Blick auf unsere Existenz wirft. Ihr seid die wahren Schuldigen."
Der Schakal warf den Kopf in den Nacken, packte Katharina am Hals und zerrte sie rüde an sich.
Heißer Atem entstieg seinem Maul.
"Um eure Andersartigkeit zu einem greifbaren Gegenstand der Überlegenheit machen zu können, habt ihr uns gebraucht. Unsere
Demut angesichts eurer Vollkommenheit. Und daraus bezieht ihr seit immer das Recht des Stärkeren, des Vollkommeneren,
aus unserer Bewunderung. Euer "Ich" entlarvt sich in seinem Willen, zu expandieren, wir standen im Weg und wichen freudig zur Seite,
weil wir dachten, ihr würdet uns an einen besseren Ort führen. Wir vertrauten uns euch an."
"Ihr irrt...", keuchte Katharina.
"Dann soll es so sein. Und ihr werdet uns auf Ewig zum Opfer fallen.", zischte der Schakal und tauchte Katharina in die Milchbrühe.
Sie wehrte sich nicht. Irgendwann erschlaffte ihr Körper, der Schakal fing sie auf und hievte sie in die Wanne. Dort lag sie dann,
und trieb auf engem Raum mit ihrem einstigen Gemahl. Ihre Körper umschlungen sich gegenseitig, der Bär kam aus dem dunklen
Zelt mit einem Eimer neuer Milch und schüttete nach.
Schweigend rührten die Mischwesen in der milchigen Brühe. Musik setzte ein, schiefe, zusammenhangslose Töne eines Xylophons,
die sich überlagerten und zu einem unmelodischem Geklimper anschwollen. Der Reihe nach verließen die Mischwesen ihre Flanke und verschwanden im
dunklen Moloch, aus dem die gekommen waren. Das Publikum schwieg sich weiterhin aus,
und als der Schakal, als letzter an der goldenen Wanne stehend, plötzlich seinen Kopf hob und geradewegs ins Publikum blickte,
ging ein leises Raunen durch die Menge.
Der Schakal grinste und offenbarte eine Reihe allzu menschlicher, akkurater Zähne.
Dann ging er langsam und lautlos von der Bühne.
Der Vorhang fiel, und tosender, pflichtbewusster Applaus setzte ein.

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